Geschrieben von Moses Steiff-Bär
Der Zug hält an, die Jacke steigt aus, wieder schaukelt die Tüte durch die Nacht, es wird wieder kühl und feucht und dunkel. Etwas klappt auf und zu, dann ist es einen Moment still, bevor grosser Lärm einsetzt. In der Tüte ist es zu eng, um die Pfoten an die Ohren zu halten. Das Lärmding beginnt zu rollen, es rüttelt und schüttelt; eine Vitrine in Bewegung, aber mit festen Wänden, nur oben hat es durchsichtige Stücke, vor denen ich Lichter vorbei huschen sehe, und einmal falle ich fast aus der Tüte. Eine Heizung scheint nicht installiert zu sein.
Schliesslich stehen wir still, und der Lärm ist auch weg. Es schaukelt noch ein paar Mal, dann wird es endlich warm und hell. Ich werde aus der rosaroten Tüte gehoben und auf etwas Weiches gesetzt, und aus der karierten Jacke schält sich ein Mensch. Mein neuer Mensch. Wir schauen uns lange an. Was denkt er wohl? Denkt er? «So einer bist du also» sagt er. «Ein Bär». Ja klar, was sonst? «Einer mit einem Knopf im Ohr.» Ja klar, was sonst? Ich bin ein Original. Der Mensch, soweit ich das sehe, hat keinen Knopf im Ohr. Also ist er kein Originalmensch. Aber ich bin jetzt in seiner Höhle.
Die erste Nacht ist ruhig, es hat noch andere Bären hier, sie lassen mich in Ruhe. Dann wird es wieder hell, aber nicht so blendend wie in der Vitrine im Brockenhaus. Ich schaue mich um. Das ist also die Höhle des Menschen. Sie hat mehrere Kammern, die er mit Klappen getrennt hält. Die Klappen sind an der Seite angemacht, und der Mensch bewegt sie, wenn er von der einen in die andere Kammer geht. Die Höhle hat auch eine Hauptklappe. Diese macht er jetzt auf und zu, dann rasselt etwas und wir Bären sind unter uns.
Niemand guckt rein, kein Finger zeigt. Es ist warm und trocken, ohne künstliches Licht, das in den Augen brennt. Wir rutschen ein wenig auf dem Polster herum (am Abend setzen wir uns wieder genau gleich hin wie am Morgen; es sieht dann so aus wie wenn wir uns überhaupt nicht bewegt hätten) und schauen uns an. «Wie ist er so, der Mensch?» – «Oh, ganz angenehm, etwas komisch vielleicht zwischendurch, aber sonst haben wir es gut.» Es wird geschnuppert. «Aber ein wenig an die frische Luft solltest du schon.» So! Danke! Sicher dufte ich, aber mein Duft ist voller Charakter; wie eben ein Bär duftet, der lange im feuchten Dunkel versorgt war.
Der Mensch hat eine Nase ohne Zwirn. Mit dieser schnuppert er nun an mir herum und drückt sie in meinen Mohair-Anzug. «Ein wenig an die frische Luft solltest du schon.» Plappert er den anderen Bären nach? Kann ich etwas dafür? Dann nimmt er mich und geht durch den grossen Raum der Höhle zu den durchsichtigen Klappen, öffnet die grösste davon und setzt mich «an die frische Luft». Die anderen Bären gucken nur, keiner hebt eine Pfote. Es ist kalt. Aber wir Bären haben ja noch Fell, nicht wie die Menschen, die sich immer in Hilfsfelle wickeln müssen, damit sie nicht frieren.
Immerhin ist er so freundlich und legt ein Tuch bereit, auf das er mich setzt. Da schaue ich nun vom Hof der Höhle in die Welt hinaus und muss daran denken, dass mein Mensch etwas von «der Bär sollte ein Bad nehmen» gesagt hat. Was immer das ist, es tönt gefährlich. Menschen ist immer und überall alles zuzutrauen.
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