Geschrieben von Moses Steiff-Bär
Heute sitze ich auf dem Polster neben meinem Menschen; es hat wenig Leute im Zug, so kann ich meinem Platz aussuchen. Manchmal sitze oder stehe ich auch auf dem kleinen Tisch unter dem Fenster und schaue hinaus auf die Landschaft. Dann sehe ich Wolken über den Hügeln; Häuser und Gärten und Bäume huschen vorbei. Nun fahren wir einem See entlang. Ich sehe Boote mit Menschen, die dünne Stecken halten, von denen dünne Schnüre ins Wasser reichen. Sie nennen es ‹fischen›.
Die Fenster im Zug sind gross und ich kann gut hinausschauen. Die Menschen schauen aber nicht hinein. Sie sprechen auch nicht miteinander, oder höchst selten. Lieber fragen sie ihr flaches Kästchen «ghörsch mi», aber es hört ihnen offenbar nicht zu. Das Kästchen ist nicht sehr gross, etwa so wie die rechteckigen Scheiben aus Schweden, die so schön knacken, wenn wir da rein beissen. (Sie machen auch herrlich viele Brosamen, sehr zum Ärger unseres Menschen.)
Wir Bären haben es einfach. Wir brauchen einen trockenen Platz, etwas Honig, Ruhe für unseren Schönheitsschlaf und dazwischen etwas Zerstreuung. Perikles und Percy zum Beispiel lesen viel. Die beiden Schweizer reden immer etwas von ‹Banner› und ‹Nell› und ‹Puur›, aber ich habe noch nicht herausgefunden, was sie damit meinen. Edward giesst gerne heisses Wasser über trockenes Laub (er nennt es ‹Tee›, aber er ist Engländer, und die sind ein wenig anders), so dass sich unser Mensch wundert, warum sein Laubhaufen immer kleiner wird. Wir haben noch andere Bären hier, das Rudel ändert sich immer ein wenig.
Bei den Menschen wird es kompliziert. Ständig, müssen sie irgend etwas machen. Wenn sie einmal nichts machen können, werden sie nervös, und suchen so lange nach etwas zum machen, bis sie etwas zum machen haben. Zum Beispiel im Zug, während ich die Landschaft anschaue, wühlen sie in ihren grossen Beuteln – Perikles meint, der Mensch sei ein Beuteltier, und er ist ein kluger Bär – und suchen Pinsel und Farbstifte, um sich das Gesicht zu bemalen. Ihre Fellpflege ist auch spannend. Da sie mit der Zunge nicht hinkommen, fahren sie sich mit den Händen durch das Kopffell. Hin und wieder schneiden sie sich auch die Krallen. Sie können sie sonst nirgends wetzen. In kleinen Raschelbeuteln (Perikles hat recht, wo Mensch da Beutel) ist das, was Menschen ‹Essen› nennen. Das sieht alles gleich aus und duftet auch gleich komisch, nur die Verpackung ändert. Wir können alle zuschauen und mitriechen. Das ist nicht lustig.
Manchmal haben die Menschen auch fahrbare Kästen dabei, so mit kleinen Rollen, die sie dann hinter sich herziehen. Wenn sie in den Zug einsteigen, kommen sie die Treppe hinauf zu uns, aber da nützen die Rollen nichts, sie müssen also die Kästen tragen. Je mehr grosse Kästen sie dabeihaben und je grösser die Herde ist, in der sie sich bewegen, desto eher klettern sie hinauf; und dann wissen sie nicht wohin mit den Kästen und lassen sie zwischen den Sitzen oder im Gang stehen. Mit diesen Kästen rennen die Menschen auch durch den Bahnhof. Sie rennen auch sonst durch den Bahnhof, und stehen dann auf den Rolltreppen. Aber ich, Moses von Steiff, der einzige Bär weit und breit, werde getragen.
Schreibe einen Kommentar