Geschrieben von Perikles Steiff-Bär
Wir werden also untersucht, und Moses erlebt den Schock seines Lebens. Dass seine Pfoten nicht aus Filz, sondern aus Dralon sind, mag er verschmerzen. Aber ihm wird von der Ärztin mitgeteilt, dass er weder Glasaugen habe noch mit Kapok gestopft sei. «Plastik» sagt die Frau – «Nein das kann nicht sein», mosert Moses, «in Zürich sagten sie ‹Glas›» – «nein, spürt man hier mit dem Finger hinten am Auge eine scharfe Kante, ist es Plastik. Hier.» – «Autsch! Ist ja gut, ich glaub’s ja!». Und gestopft sei er mit Polyester. «Poly… was für eine Esther? Chemie? Ich habe Chemie im Bauch? Kein Kapok?» So brummt Moses, und ich muss ihn trösten. Alles sei ihm jetzt egal, auch die festen Gelenke und der gute Zustand. «Kein Kapok, kein Bär.» *heul* Du meine Güte. Aber immerhin trägt er einen Mohair Anzug. Und gemäss Knopf im Ohr stammt er sicher aus den frühen 80er Jahren, eventuell sogar von Ende 70er Jahre.
Ich habe auch Polyester im Bauch, sowie schwarze Schuhknopf-Augen, einen Knopf im Ohr und auch noch die Fahne dazu, stamme aber aus den 90er Jahren. Ich bin 51cm gross und schwerer als Moses und eine «nicht limitierte Replika eines Bären von 1909», sagt die Ärztin. Die seien in verschiedenen Grössen hergestellt worden, und grosse Bären seinen eher selten bei allen Herstellern. Und gelb ist eben eine schöne Farbe. Sage ich jetzt. Ich bin ganz zufrieden mit mir. «Egal, Bär ist Bär, meistens jedenfalls; Hauptsache Knopf im Ohr und Mohair rundum», kommentiert Moses, «Menschen machen immer alles kompliziert mit ihren Namen und Zahlen.» Sieh an, seine Lebensgeister erwachen wieder. Aber wo er recht hat, hat er recht.
Der dunkle ‹Mutzli› ist alt, etwa 60jährig vielleicht noch älter, mit Stroh gefüllt und mit Wollplüsch verkleidet. Er hat Glasaugen! Beide haben Glasaugen! Moses will aber nichts wissen davon. Der helle ‹Mutzli› ist etwa 50jährig und brummt auch. Der sitzt gern bequem und muss vermutlich seinen Atlaswirbel richten lassen, er kann seinen Kopf nicht bewegen. Beide legen Wert auf ihre Herkunft und auf ihren roten Knopf auf der Brust.
Sieh an, Moses hatte doch auch einmal ein solches Glas vor sich – muss ein besonderer Bärentrunk sein. Das sollte ich auch einmal versuchen. Item. Die Beiden bleiben hier und werden, naja, was sagt man bei uns? Repariert? Operiert? Geflickt? Wiederhergestellt? Wenn sie brummen, dann in einer Sprache, die ich nicht verstehe, aber vielleicht kann ich ihnen noch das richtige Sprechen beibringen. Es sind Schweizer, die brummen eben ein wenig komisch. Irgendwie verstehen wir Bären uns aber immer. «Nachstopfen, Naht schöner verschliessen, Nase nachsticken, Kralle wieder einziehen», sagt die Ärztin.
Wir sind zurück im Zug. Diesmal hat es rote Sitze, «das steht mir besser, die anderen Farben lassen mich immer so blass aussehen», notiert Moses. Immerhin haben wir jetzt genug Platz; zu zweit ist es ganz bequem hier drin, selbst mit all dem Gerümpel des Menschen. «Sag mal, wie sagt man dem, was wir innen haben? Polestihyr?» – «Nein Polyester. P-o-l-y-e-s-t-e-r. Ohne ‹h› nach dem ‹t›, es ist kein Mädchen, es ist Bärenstopfmaterial.» – «Ah, Plyoester.» – «Nein, Polystrer…» – Umpf – «Mach Dir nichts draus, Nemo konnte auch nicht ‹Anemone› sagen.»
Dann gucken wir aus unserem Korb am Fenster und schauen uns die anderen Motorvitrinen an, die unter uns fahren, mal schneller, mal langsamer; und keiner der Menschen drinnen guckt hoch. Aber wir können bei allen hineinsehen. Wenn ein männlicher und weiblicher Mensch zusammen vorne sitzen, hält er das Steuerrad und sie das Dach an einen Griff über dem Fenster. Sonst würde es wahrscheinlich wegfliegen.
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Das Geschäft (die ‹Klinik›) heisst Ackermann Antiquitäten und Puppenklinik, Rorschacherstrasse 193 in 9000 St. Gallen, Bus ‹Grossacker› (beim futuristischen Einkaufszentrum). Kein Email, keine Website.
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